Nach längerer Abstinenz vom Wandern war es heute endlich mal wieder so weit. Das alte Wasserwerk auf der Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe sollte angeschaut werden! Die dafür zu erwandernde Strecke ist mit 13 Kilometern für so ziemlich jeden zu schaffen der eine gute Grundkondition hat.
Wasser & Kunst? Wasserkunst!
Nein. Auch wenn der Name es anders vermuten lässt, ist Wasserkunst nur das Wort für ein System zur Förderung, Hebung und Führung von Wasser und hat nichts mit den schönen Künsten zu tun. Betrieben und oft auch hergestellt wird eine Wasserkunst von einem sogenannten Kunstmeister.
Die Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe diente dazu Hamburg nach dem großen Brand der Altstadt 1842 und der Choleraepidemie 1892 endlich mit genügend Frischwasser zu versorgen. Die Anlage wurde 1893 erbaut und war bis 1990 – also fast 100 Jahre – in Betrieb.
Aber von Anfang an…
Dies ist meine erste Wanderung als relativ frisch gebackener Papa und somit auch die erste mit Kinderkarre. Um bei einer meiner Wanderungen sofort zu erkennen ob diese geeignet ist um mit einer Kinderkarre bewandert zu werden habe ich zwei Symbole erstellt die ich zukünftig als Kennzeichnung in meine Wanderungen mit aufnehmen werde.
In diesem Fall ist die Wanderung für eine Kinderkarre geeignet, denn es gibt nur eine etwas steilere Treppe bei der es aber links und rechts einen Weg für die Karre gibt.
Die Anfahrt
Nachdem ich also neben Broten und Tee für mich, noch das Kind, Babynahrung, heißes Wasser, eine Decke, Wechselwäsche und Wickelzeug in die Karre gepackt hatte konnte es losgehen. Die Wanderung startet am S Bahnhof Rothenburgsort, dieser ist leider noch nicht mit einem Fahrstuhl ausgerüstet. Somit bin ich lieber von Berliner Tor aus mit dem Bus 160 bis zur Haltestelle Rothenburgsort gefahren. Im Zweifelsfall findet sich an der Haltestelle aber immer jemand der bei der Karre mit anfasst um sie die Treppe herunter zu bekommen.
Los geht’s!
Am Ausgang des Bahnhofes wenden wir uns nach links und überqueren die Brücke über die Bahngleise und biegen links in den Carl-Stamm-Park ab. Dort sehen wir als erstes gleich das Mahnmal anlässlich des 60. Jahrestages des Feuersturms. Das Mahnmal erinnert an die alliierten Luftangriffen der „Operation Gomorrha“ im Juli und August 1943. 35.000 Menschen starben in jenen Bombennächten. Besonders die Stadtteile im Osten Hamburgs – Rothenburgsort, Hamm, Hammerbrook und Borgfelde – wurden fast vollständig zerstört.
Nach wenigen Metern erreicht man eine Schrebergartenkolonie, den Gartenbauverein Bahnhof Tiefstack e.V. in dem lt. den Kollegen bei Komoot noch das durchgängige wohnen erlaubt sein soll. Schilder am Eingang zur Anlage deuten aber darauf hin dass das Wasser in der Anlage erst im März angestellt und im Oktober wieder abgestellt wird – das spräche dagegen.
Falls jemand hier genaueres weiß wäre ich für einen Hinweis dankbar
Das Wohnrecht in Kleingartenvereinen wurde nach der Zerstörung großer Teile Hamburgs durch die oben bereits erwähnten Bombenangriffe eingeführt. Bis heute wurde dieses Recht aber fast allen Kleingartenvereinen wieder aberkannt. Es sollte Übergangsweise für mehr Wohnraum sorgen, der durch die Zerstörung ganzer Stadtteile dringend nötig war.
Hinter dem Kleingartenverein kommt noch ein kleiner Park mit Spielplatz, hier habe ich erstmal die Jacke ausgezogen, denn es wurde trotz angesagtem Wind und Regen langsam richtig warm.
Aus dem Park herauskommend folgt man einer kleinen Nebenstraße und biegt rechts Richtung Süden ab. Kurz darauf kommt man an einem LIDL Markt vorbei vor dem eine mir unbekannte und unbeschriftete Statue steht. Ihr wisst wer dieser Lautenspieler ist? Dann verratet es mir in den Kommentaren.
Kinderwagenfreundlicher Weg
Von dieser Statue aus sieht man schon den zu erklimmenden Deich und mein erster Gedanke war, dass hier die Wanderung mit Karre vielleicht schon vorbei war oder ich sie den Deich hoch tragen müsste. Das stellte sich Gott sei Dank als falsch heraus, denn links und rechts der Treppe war der Hang gepflastert so dass man die Karre hochschieben konnte.
Hat man den Deich erklommen und die Straße überquert wird man mit dem Blick auf die wild-romantische Billwerder Bucht belohnt. Anders als wild-romantisch kann ich die Kombination aus viel Grün, alten Anlegern, Industriegebäuden und dem Kraftwerk Tiefstack wirklich nicht beschreiben – macht euch selbst ein Bild davon.
Am Deich trieben sich bei dem schönen Wetter viele Angler herum die in diesem ruhigen Gewässer sicher fündig geworden sind.
Nach wenigen Metern die ich in Richtung des Kraftwerk Tiefstack gelaufen bin sah ich weiter hinten im Wasser einen Bus schwimmen. Einen Bus? Ja einen Bus! Und zwar den Hafencity Riverbus, eine Touristen Attraktion die es seit 2016 in Hamburg gibt. Der Hafencity Riverbus verbindet die Elemente einer Stadtrundfahrt mit der einer Hafenrundfahrt und nutzt dafür ein Amphibienfahrzeug das extra für diesen Zweck gebaut wurde und ein langes Genehmigungsverfahren durchlaufen hat. Fahrer der Fahrzeuge brauchen natürlich einen Busführerschein inklusive des Personenbeförderungscheins und ein Kapitänspatent. Mehr Informationen zur Geschichte des Hafencity Riverbus findet Ihr auch bei Wikipedia.
Vorbei an Gänsen und Wiesen ging es auf das Kraftwerk Tiefstack zu. Dort entdeckte ich ein Schläusenwärterhäuschen der Tiefstack Schleuse inklusive eines fleißigen Wichtels im Hinterhof. Die Schleuse wurde 1902 erbaut und verbindet den Tiefstackkanal mit der Billwerder Bucht.
Ein paar Meter weiter überquert man dann den Tiefstackkanal und hat von hier einen guten Blick auf die Gesamtanlage des Kraftwerkes Tiefstack.
So schön die Billwerder Bucht auch ist, jetzt ging es endlich wieder in ein etwas grüneres Gebiet. Man folgt der Andreas-Meyer-Straße, biegt dann aber auf den viel weniger befahrenen und direkt am Wasser gelegenen Moorfleeter Deich.
Leider ist der Deich betoniert, das ist wohl nicht zu vermeiden. Trotzdem kommt ein wenig ländliches Gefühl auf. Am Straßenrand stehen plötzlich Schilder die frische Eier, Kartoffeln und Zwiebeln zum Kauf anbieten. Leider habe ich niemanden finden können, sonst hätte ich mir ein paar frische Eier mitgenommen. Da es ein nächstes Mal bestimmt gibt hole ich das dann nach.
Rechter Hand stößt man auf die Julius Grube KG Schiffswerft GmbH & Co. Ich bin nicht sicher ob eine Werft so aussehen muss, aber der Eindruck eines Lost Places wird durch Rost und Leere vermittelt. Vielleicht gehe ich den Weg mal in der Woche nach meinem Feierabend um zu sehen ob sich dort unter der Woche etwas tut.
Danach geht man ein ganzes Stück am Deich entlang. Da dieser, wie schon erwähnt, betoniert ist bleibt zum genießen nur der Blick aufs Wasser und die vereinzelten Bäume.
Die Tristesse hat aber schnell wieder ein Ende, denn man kommt in eine Ortschaft von der ich glaube das es der alte Kern von Moorfleet ist. Es stehen zum Teil wunderschöne Fachwerkhäuser, halb hinter alten Bäumen versteckt und alles ist idyllisch…wäre da nicht die Stadt Hamburg, ein Erbpachtvertrag und Behördenwillkür. Denn die Stadt hat Isabelle Schiffler den Pachtvertrag gekündigt – nach 149 Jahren. Über die Proteste berichtete damals 2018 unter anderem der Focus. Da auf der Internetseite des Jazz Archivs Hamburg das Isabelle Schiffler und vorher Ihr Vater seit 1973 dort betreibt, noch die selbe Adresse steht, hoffe ich das die Stadt diese abstrusen Pläne zur Kündigung wieder verworfen hat.
Kurz hinter dem schönen Ortskern fanden wir endlich eine schön gelegene Wiese. Da das Wetter mitspielte und meine kleine Maus Hunger hatte, breiteten wir die Picknickdecke aus und machten Pause. Erst wurde die kleine mit einer neuen Windel versorgt, danach gefüttert und dann gab’s Brot und Tee für Papa während Mini-Me auf der Decke mit Ihren heißgeliebten Füßen spielte. Es kamen einige Gruppen von Motoradfahrern vorbei, die meisten hupten oder winkten – das habe ich bisher, wenn ich ohne Kinderwagen unterwegs war, so noch nicht erlebt 😊
Eine halbe Stunde später wurde Lia langweilig, darum ging es wieder in die Karre und wir machten uns wieder auf den Weg. Wir kamen an einem Golfclub namens red golf vorbei auf dem jeder, auch ohne vorherige Platzreife, spielen darf wenn ich das richtig verstanden habe. Vielleicht belege ich mal einen Schnupperkurs, auch wenn ich Golf immer noch für das Spazieren gehen alter, reicher Menschen halte 😉
Der Trampelpfad am Golfplatz vorbei war von der Wegbeschaffenheit der schönste Abschnitt der Wanderung, auch wenn die Ziegen und Schafe und die Gebäude auf der Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe schwer zu schlagen sind – aber dazu später mehr.
Richtung Kaltehofe nahm ich den Weg auf der Deichstraße und bin nicht auf der Deichkrone gelaufen. Beim nächsten mal muss ich genauer aufpassen ob es zu Beginn des Deiches einen Weg mit Karre hinauf gibt, denn auf der Deichstraße bewegte sich kein Lüftchen und es war wirklich sehr warm, obwohl wir eigentlich nur 15 Grad hatten.
Man unterquert noch eine Autobahnbrücke bevor man dann endlich auf Kaltehofe landet.
Die Wanderung führt auf einem Trampelpfad neben der Deichstraße über die Elbinsel. Da der Trampelpfad aber nur bedingt für die Karre geeignet ist, nach wenigen hundert Metern ohnehin wieder auf die Straße führt und ich Wildgänse aufgeschreckt habe, werde ich das nächste Mal gleich auf der Straße bleiben um ebendies zu vermeiden.
Man hat von dieser Seite einen tollen Blick über den Holzhafen der Billwerder Bucht und Infotafeln informieren den geneigten Wanderer über die neu geschaffenen Lebensräume, ansässige Tiere und die Geschichte der Elbinsel.
Aus dem Nichts tauchten auf einmal Ziegen und Schafe auf dem Deich zur Linken auf. Schafe 💖! Ich als Irland Fan bin natürlich auch ein riesiger Fan von Schafen und konnte mich gar nicht satt sehen an den frisch geschorenen, flauschigen Rasenmähern. Ob das Wort Rasenmäher wohl vom „Mäh“ eines Schafes abgeleitet ist? 😉
Danach kamen die Wasserbecken mit den Schieberhäuschen und kurz darauf die Villa Kaltehofe als historischer Höhepunkt der Wanderung. Leider war das Museum geschlossen, so dass ich keine Führung mitmachen konnte um mehr über die Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe zu erfahren und euch davon zu berichten. Das wird aber natürlich nachgeholt und dann auch hier ergänzt. Bis dahin gibt es natürlich jede Menge über das Thema bei Wikipedia zu lese. Auf der Internetseite der Wasserkunst sind Informationen leider sehr rar gesät – da besteht dringender Nachholbedarf!
Am Ende der Elbinsel Kaltehofe überquert man das Entenwerde Sperrwerk und landet wieder in Rothenburgsort. Hier könnte man nun im Entenwerder Fährhaus noch Kaffee & Kuchen oder auch ein Bier genießen. Das Café gibt es seit 1872 und das sieht man dem Schankraum und der wild zusammengewürfelten Terrasse auch an, das hat aber auch seinen ganz eigenen Charme.
Mit Blick auf den alten Turm der Hamburger Wasserwerke macht man sich nun, vorbei am Gelände der Siemens AG auf dem ich von 1995 an meine Ausbildung zum Energieelektroniker Fachrichtung Anlagentechnik absolvierte, wieder auf den Weg zum Bahnhof Rothenburgsort, an dem unsere Wanderung endet.
Alles in allem habe ich die erste Wanderung mit meiner Tochter sehr genossen und ich hoffe das auch sie etwas davon hat – vielleicht sogar etwas mehr als „nur“ ein bisschen frische Luft.
Die Tour ist gemütlich in 4 Stunden zu schaffen und absolut für eine Kinderkarre geeignet. Hier noch das Profil der Wanderung bei Komoot.